Kolumne „Frauen? Männer? Menschenrechte!“ von Ida Büsch
Die Folgen der Coronavirus Pandemie treffen Frauen härter als Männer. Entscheidungsträger:innen, Regierungen und Organisationen müssen jetzt Maßnahmen ergreifen, um die Geschlechtergerechtigkeit zu stärken.
Noch ein Lockdown. Wer ist durch seine Arbeit trotzdem einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt? Wer fürchtet jetzt um seinen Job? Wer betreut die Kinder, wenn Kitas und Schulen geschlossen sind? Wer fühlt sich in seinem eigenen Zuhause nicht mehr sicher? Meistens heißt die Antwort auf diese Fragen: Frauen.
Die Coronavirus Pandemie hat ganz Europa hart getroffen, einige Menschen jedoch härter als andere. Eine Gruppe, die besonders unter den Folgen der Pandemie leidet, sind Frauen. Sie sind die Mehrheit der Angestellten im Gesundheitswesen, sie erledigen die meiste unbezahlte Hausarbeit, sie arbeiten öfter als Männer in unsicheren Arbeitsverhältnissen und sie sind häufiger Opfer von häuslicher Gewalt. Deshalb sind Frauen anfälliger für die gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Pandemie.
„Krisen sind nie geschlechterneutral, auch nicht die aktuelle,“ sagte Bettina Jahn, Bildungsreferentin von UN Women Deutschland. „Jede Krise wirkt wie ein Brennglas auf Ungerechtigkeiten. Darin stecken aber auch Chancen: Wenn Entscheidungsträger:innen erkennen, welche große Rolle Frauen für die Aufrechterhaltung unseres gesellschaftlichen Systems spielen und vor welchen besonderen Herausforderungen sie stehen.“
Politische Entscheidungsträger:innen müssen nun mit geschlechtergerechter Politik reagieren und Lösungen finden, um diese Ungleichheiten zu bekämpfen.
Ungleiche Ansteckungsrisiken
Im März standen tausende auf ihren Balkonen und applaudierten für die Ärzt:innen und Pfleger:innen, die aufgrund der Pandemie eine Überstunde nach der nächsten verbuchen und demnach einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind. Was vielen damals bestimmt nicht bewusst war: 75% des Gesundheitspersonals in Deutschland, für das damals applaudiert wurde, sind laut dem Statistischen Bundesamt Frauen.
Auch in anderen Bereichen, in welchen Arbeiter:innen während der Pandemie einem hohen Risiko unterliegen, arbeiten hauptsächlich Frauen:
„Frauen sind überdurchschnittlich häufig im Einzelhandel sowie als Lehrerinnen und Erzieherinnen beschäftigt, wodurch sie ständig mit vielen Menschen in Kontakt sind,“ sagte Jahn.
Ungleiche finanzielle Risiken
Wenn es um finanzielle, statt um gesundheitliche Risiken geht, sind Frauen aufgrund ihrer Arbeit ebenso benachteiligt. Häufig sind die Probleme von Frauen unsichtbar, zum Beispiel wenn sie im informellen Sektor arbeiten, also eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, welche nicht in offiziellen Statistiken erfasst wird.
„Deutlich mehr Frauen als Männer arbeiten im informellen Sektor, in unsicheren oder schlecht bezahlten Jobs, etwa auf 450 Euro-Basis, und haben dadurch keinen Anspruch auf Kurzarbeitsgeld oder Arbeitslosengeld bei Jobverlust. Vor allem Frauen arbeiten in den Unternehmen und Sektoren, die von den Auswirkungen der Corona-Pandemie am härteste getroffen wurden, beispielsweise in der Textil- und Tourismusbranche,“ sagte Jahn.
Doch selbst wenn Frauen ihr eigenes Unternehmen besitzen seien sie unterprivilegiert. Ihre Unternehmen seien häufig kleiner und hätten geringere finanzielle Ressourcen, auf die sie während der Pandemie zurückgreifen können. Im Jahr 2017 lag der geschlechtsspezifische Gehaltsunterschied von Selbständigen in Deutschland laut OECD bei 27%. Unterschiede wie dieser werden während der Pandemie sichtbarer, da viele Unternehmer:innen nun auf ihre finanziellen Ressourcen angewiesen sind.
Egal in welchem Bereich sie arbeiten: Frauen erledigen den Großteil der unbezahlten Hausarbeit, Pflege Angehöriger und Kinderbetreuung, der sogenannten Care-Arbeit. In Deutschland leisten Frauen im Schnitt 50% mehr Care-Arbeit als Männer. Durch geschlossene Schulen und Kitas wird diese Last zusätzlich vergrößert, sodass manche Frauen ihre Erwerbstätigkeit einschränken, oder gar beenden müssen. Dies kann gravierende Folgen für ihre finanzielle Unabhängigkeit und Karriere haben, was sich zum Beispiel im Anteil von Frauen in Managementpositionen widerspiegelt.
„Der ohnehin schon geringe Anteil […] geht in Deutschland schon jetzt sichtbar zurück. Führungspositionen in der traditionellen Unternehmenskultur ermöglichen eine Vereinbarkeit [von Beruf und Care-Arbeit] kaum,“ sagte Jahn. Im Jahr 2019 lag der Anteil von Frauen in Managementpositionen laut Statistischem Bundesamt bei 29%.
Ungleichheiten ausgleichen
Besonders zu Beginn der Pandemie sind bei Maßnahmen im Kampf gegen die Folgen des Coronavirus vor allem gesundheits- und wirtschaftspolitische Interessen berücksichtigt worden. Um Maßnahmen zu entwickeln, welche auf die Bedürfnisse von Frauen eingehen, müssen Entscheidungsträger:innen erkennen, dass Frauen härter von Krisen betroffen sind. Geschlechterspezifische Daten werden benötigt, um die Folgen der Pandemie entsprechend analysieren zu können. Frauen müssen an Entscheidungsprozessen mitwirken, um auf ihre Bedürfnisse aufmerksam machen zu können.
„Es braucht finanzielle Hilfen, die Beschäftigte im informellen und im Niedriglohnsektor schnell und nachhaltig unterstützen. Frauen, die durch unbezahlte Care-Arbeit belastet sind, müssen durch flexible Arbeitsbedingungen entlastet werden. Qualitative Kinderbetreuung muss sichergestellt sein. Wir brauchen nachhaltige Investitionen in den Gesundheits- und Pflegesektor. Care-Arbeit – sowohl bezahlte als auch unbezahlte – muss eine höhere Wertschätzung erfahren, die sich auch finanziell auswirkt,“ sagte Jahn.
Gewalt gegen Frauen
Homeoffice, Lockdown, Ausgangssperre, Kontaktbeschränkung. Diese Begriffe gehören in diesem Jahr in ganz Europa zum Alltag. Seit Ausbruch der Pandemie wird mehr Zeit in den eigenen vier Wänden und mit der Familie verbracht, um weitere Kontakte zu vermeiden und die Verbreitung des Virus zu bremsen. Doch was, wenn das eigene Zuhause nicht sicher ist?
„Existentielle Sorgen, Quarantäne und eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit führen wahrscheinlich zu einer Zuspitzung häuslicher Gewalt,“ sagte Jahn.
Ähnlich wie in anderen Bereichen fehlen auch hier verlässliche Daten, um die Auswirkungen der Pandemie auf häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt zu untersuchen. Außerdem erschwert die Pandemie es Betroffenen und Zeug:innen, Hilfe zu suchen, wodurch die Dunkelziffer der Fälle häuslicher Gewalt höher liegen könnte als vor der Krise.
Stärker als Gewalt
„Besonders wichtig ist das Hilfetelefon gegen Gewalt an Frauen, das […] Betroffene sowie ihre Angehörige berät,“ sagte Jahn über Hilfsangebote für betroffene Frauen in Deutschland.
Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sprach sich in der Konferenz zur Gleichstellung der Geschlechter in Europa sogar dafür aus, diese Initiative auf ganz Europa auszuweiten. Außerdem sprach sie über die Istanbul-Konvention und appellierte an die europäischen Staaten diese zu ratifizieren und umzusetzen. Die Istanbul-Konvention ist ein Völkerrechtlicher Vertrag des Europarats um Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen.
„Nach den Empfehlungen der sogenannten Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die 2018 in Deutschland in Kraft getreten ist, fehlen rund 14.600 Plätze in deutschen Frauenhäusern. Wir fordern einen flächendeckenden Ausbau und die langfristige Finanzierung von Frauenhäusern,“ sagte Jahn bezüglich der Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland. „Wir schließen uns […] den Forderungen der Istanbul-Konvention an, dass Polizei- und Justizbeamt:innen umfassend geschult werden, um häusliche Gewalt zu erkennen, Opferschutz gerecht umzusetzen und Täter entsprechend zu verurteilen.“
Umdenken
Das Virus trifft nicht jeden gleich. Neben Maßnahmen, welche die spezifischen Folgen von Geschlechterungerechtigkeit bekämpfen, ist auch ein allgemeines Umdenken in der Gesellschaft gefordert. Ungleichheiten müssen erkannt und deren Ursachen bekämpft werden.
„Pflegeberufe werden oft von Frauen ergriffen, weil sie entsprechend sozialisiert sind,“ sagte Jahn. Traditionelle Rollenbilder werden durch Gender Marketing verstärkt und oft mangelt es Frauen an Vorbildern aus verschiedenen Berufsgruppen. Von Müttern wird erwartet, Care-Arbeit und Beruf vereinen zu können. Laut Jahn ist dies „utopisch.“ Häusliche Gewalt darf kein Tabuthema mehr sein. „Null Toleranz gegenüber Gewalt an Frauen muss Einzug in Politik und Gesellschaft finden,“ sagte Jahn.
Um nachhaltig Geschlechtergerechtigkeit zu schaffen, müssen Stereotypen und klassische Rollenbilder bekämpft werden. Dabei ist nicht nur Bildung und Präventionsarbeit wichtig. Entscheidungsträger:innen müssen alle Maßnahmen, die sie treffen, geschlechtergerecht formulieren, um eine Gleichstellung der Geschlechter zu bewirken.
Zum weiterlesen
Der Europarat über Frauenrechte und die Covid-19 Pandemie
„Stärker als Gewalt“: eine bundesweite Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
Verlag für Rechtsjournalismus: Häusliche Gewalt: Die Gewaltspirale in der häuslichen Gemeinschaft
Aktiv werden für ein Ende der Gewalt gegen Frauen: „Zehn Möglichkeiten, wie du dich gegen Gewalt an Frauen und Mädchen einsetzen kannst – auch während einer Pandemie“ von UN Women Deutschland
Dieser Artikel beschreibt sicher die realitätsbezogene Situation. Sie wird sich nicht ändern, da Politik nicht von den Personen gemacht wird, die gewählt wurden, sondern von Lobbyisten in den hinterzimmern und von korrupten Darstellern, die per Stipendium „geformt“ werden und dann platziert werden und „funktionieren“