Interview und Kommentar über politische Teilhabe von Sirin Tiryaki
“Was schwebt den Menschen als Gesellschaft vor?” Mit dieser Frage begegnete mir die Bundestagsabgeordnete und Mitglied der deutschen Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Doris Barnett in einem Gespräch über die politische Teilhabe von Frauen* in Europa. Trotz einzelner Rückschläge in der Geschlechtergleichstellung in Europa möchte der deutsche Vorsitz im Europarat an der Notwendigkeit festhalten und die Gleichstellung weiter ausbauen. Im Fokus steht hierbei politische Partizipation. Das Rollenverständnis innerhalb einer Gesellschaft sei zentral für die Chance für Frauen aktiv ein Teil der Politik zu sein. Barnett betont, dass die Infrastruktur für die politische Beteiligung von Frauen* wichtig sei. Es müsse für alle Geschlechter faire Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben geben. Doch wieso beharren die Mehrheit der Frauen* und vor allem Frauen* wie Barnett so sehr darauf, Frauen* in die Politik zu bringen?
Empathie = Frieden
Frauen* wird oft vorgeworfen, dass sie zu emotional und empathisch seien, um wichtige politische Entscheidungen zu treffen. Besonders diese Empathie jedoch solle man als eine deutliche Stärke bei Konfliktlösungen sehen, so Barnett. Vor allem der Wille friedliche Wege zu finden, sei bei Frauen* besonders ausgeprägt, differenziert Barnett. “Wenn ein Konflikt besteht, dann sollte man erstmal nach dem Grund suchen. Gibt es gewaltfreie Lösungsmöglichkeiten? Wie kann man verhärtete Situationen aufweichen?”, stellt Barnett heraus. Andere Gesprächsformate in Form von zum Beispiel offenen Dialogen zu finden sei eine besondere Fertigkeit von Frauen* in der Politik. Empathie sei somit nicht hinderlich, sondern begünstige die Fähigkeit, erfolgreich in der Politik zu agieren. Frauen* setzen auf alternative Mittel, die mehrere Perspektiven beleuchten und Konflikte differenziert sehen. “Sie leisten einen nachhaltigen Beitrag zu friedlichen Konfliktlösungen”, betont Barnett.
Das Netzwerk ist alles
Doris Barnett ist seit 1994 Mitglied des Bundestages und seit 2005 Mitglied der deutschen Delegation der parlamentarischen Versammlung des Europarates. Als Arbeiterkind fand sie 1971 ihren persönlichen Weg zur politischen Partizipation in der SPD. Dabei betont sie die Notwendigkeit eines Frauen*netzwerkes innerhalb der Politik. “Wir müssen uns gegenseitig unterstützen.”, fordert sie und verweist dabei auf die hohe Kooperationsbereitschaft zwischen Frauen*. Auch im Europarat sieht sie eine deutliche Kooperation zwischen den Frauen* rund um die Thematik der Geschlechtergleichstellung. In der deutschen Delegation sei die weibliche Kooperation themenabhängig. Dennoch sollten sich Frauen* über Parteigrenzen hinweg unterstützen, gerade weil auch Männer diese Netzwerke pflegen und sie oft einen Schlüssel zum Erfolg in der Politik darstellen.

Keine Angst vor der eigenen Courage
Jungen Europäerinnen möchte Doris Barnett vor allem nahelegen, keine Angst vor der eigenen Courage zu haben. „Wir müssen unsere Rechte einfordern.“
Junge Europäerinnen müssen ihre politische Teilhabe einfordern und sagen “Die Hälfte der Welt gehört mir, deshalb steht mir vor allem auch die Hälfte der Politik zu”. Der Wille etwas zu bewegen und das Netzwerk sind wichtige Bestandteile der politischen Präsenz von Frauen*. Dabei betont Doris Barnett zusätzlich, dass junge Europäerinnen sich vor allem nicht vor Misserfolgen fürchten, sondern diesen solide begegnen sollten. “Wir Frauen* müssen uns einfach trauen, auch bei der Möglichkeit zu versagen.”
Für die Zukunft wünscht sich Doris Barnett, dass jede Frau* selbst entscheiden kann, was sie in ihrem Leben priorisiert. Für diese Freiheit müssen die Gesellschaft und der Staat die Strukturen schaffen. Es sollte ihrer Meinung nach gar keine Diskussion mehr über das Geschlecht geben, denn Frauen* in der Politik seien schon lange keine Seltenheit mehr und verdienen es gleichermaßen wie Männer behandelt zu werden. Diese Selbstverständlichkeit sollte fokussiert und für Frauen* sowohl gesellschaftlich als auch institutionell ermöglicht werden. Junge Europäerinnen müssen ihre politische Teilhabe einfordern und sagen „Die Hälfte der Welt gehört mir, deshalb steht mir vor allem auch die Hälfte der Politik zu.“

Junge Europäerinnen müssen ihre politische Teilhabe einfordern und sagen „Die Hälfte der Welt gehört mir, deshalb steht mir vor allem auch die Hälfte der Politik zu.“
Doris Barnett, Mitglied der deutschen Delegation der parlamentarischen Versammlung des Europarates.
Frauen* eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, ist ein Verständnis von gesamtgesellschaftlichen Werten. Teilhabe bedeutet Gerechtigkeit. Teilhabe bedeutet Gleichheit. Somit ist auch die politische Partizipation von Frauen* ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Was schwebt uns als Gesellschaft bezüglich der Geschlechtergleichstellung vor?
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